Neuroscience: Das große Vergessen

Ein neuartiger Ansatz zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zeigt erste Erfolge

Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik Abb. Die Zellkerne in menschlichen Zellen (rot). In unbehandelten Zellen ist das APP-Fragment (grün) in Massen nachzuweisen (li.), in behandelten Zellen wird die β-Sekretase effizient gehemmt (re.). APP-Fragmente sind nicht mehr vorhanden. Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik
Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik
Abb. Die Zellkerne in menschlichen Zellen (rot). In unbehandelten Zellen ist das APP-Fragment (grün) in Massen nachzuweisen (li.), in behandelten Zellen wird die β-Sekretase effizient gehemmt (re.). APP-Fragmente sind nicht mehr vorhanden. Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

(mpg.ff-ba/ehj) – Nervenzellen lösen sich auf, Patienten verlieren ihr Erinnerungs- und Orientierungsvermögen – die Alzheimersche Krankheit ist eine schleichende Erkrankung des Gehirns. Eine erfolgreiche Behandlung gibt es derzeit nicht. Forscher am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden ist es jedoch gelungen, einen neuen Therapieansatz zu entwickeln, der erste Erfolge zeigt. Die Wissenschaftler konnten gezielt einen der wichtigsten Auslöser der Alzheimer-Krankheit hemmen, das Enzym β-Sekretase. Mithilfe eines Membranankers fixierten sie β-Sekretase-Hemmer in der Zellmembran und konnten so ihre Wirksamkeit enorm steigern. Dies ist bahnbrechend, da bisherige Therapieansätze den genauen Wirkungsort des Enzyms vernachlässigten – und nur unspezifisch, also breit gestreut, wirkten. Die neuartigen Hemmstoffe hingegen hängen sich direkt an floßartig umher schwimmende Untereinteilungen der Zellmembran (Rafts) und werden so genau an den Ort in der Zelle gebracht, in denen die β-Sekretasen zum Ausbrechen der Alzheimer-Krankheit beitragen.

Verklumpte Proteinfragmente, so genannte Amyloid-Ablagerungen (Plaques), gelten als die auffälligste Veränderung in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten. Laut gängiger Lehrmeinung sammeln sie sich im Lauf der Zeit an und beginnen nach und nach, die Gehirnzellen zu schädigen, bis diese schließlich absterben. Diese Ablagerungen entstehen, wenn ein Membranprotein (APP, β-Amyloid-Precursor-Protein) von dem Enzym β-Sekretase zerschnitten wird.

An genau dieser β-Sekretase haben nun die Forscher um Kai Simons am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik angesetzt. Ihr Ziel war es, das Enzym wirkungsvoll zu hemmen, um die Alzheimer-Krankheit effektiv zu behandeln oder zumindest den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Doch zuvor mussten zwei wichtige Fragen geklärt werden: Wo genau in der Zelle spaltet die β-Sekretase das Membranprotein APP? Wie findet das kleine kurzkettige Eiweiß, das dabei entsteht, den Weg aus der Zelle, um schließlich Amyloid-Plaques zu bilden?
Die Antworten verblüfften die Forscher: Die APP-Spaltung kann nur dann stattfinden, wenn APP und die β-Sekretase vorher in die Zelle eingeschleust wurden. Dies geschieht über den gleichen Prozess, über den Zellen beispielsweise Nährstoffe aufnehmen und externe Signale ins Zellinnere vermitteln (Endozytose). Danach werden APP und die β-Sekretase in eine spezielle Zellorganelle transportiert, die sich in der Zellperipherie befindet (frühes Endosom). Darin wird das APP durch die β-Sekretase gespalten.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurden bestehende β-Sekretase-Hemmer von dem Dresdner Forscherteam nun mit einem Membrananker versehen, um diese in frühe Endosomen transportieren zu können. Erste Experimente haben gezeigt, dass diese Endosom-spezifischen Hemmstoffe um ein Vielfaches effektiver sind als die löslichen, bisher auf dem Markt erhältlichen Präparate – und dies sowohl in Zellkulturen als auch in lebenden Organismen. In einem tierischen Modellorganismus, in dem Alzheimer simuliert wurde, konnte mit dem neuartigen Hemmer die Bildung von β-Amyloid in nur vier Stunden auf die Hälfte reduziert werden, während die bisher erhältlichen Hemmstoffe keinerlei Wirkung zeigten.

Per Anhalter in die Zelle

Lawrence Rajendran, Mitarbeiter im Labor von Simons, erklärt: „Der Hemmstoff fährt quasi per Anhalter mit den kleinen Nanoflößen, den Rafts, in die Zelle: Wir nutzen damit einen Mechanismus der Zelle, um den Hemmer genau dorthin zu bringen, wo er wirken soll – das ist bedeutend effektiver“. „Darin steckt ein riesiges Potential für die Entwicklung neuer und wirksamerer Medikamente gegen Alzheimer“, sagt Kai Simons, der auch Mitbegründer der Firma JADO Technologies ist, die nun den Raft-Ansatz für weitere Therapiemöglichkeiten durchtesten wird.

Rafts sind also der Schlüssel zu den vollkommen neuen Therapie-Ansätzen der Dresdner Forscher. „Man kann Hemmstoffe in der Zellmembran genau zu den entscheidenden Zielorten lenken – die Orte der wahren Krankheitsursache“, so Rajendran. Kai Simons denkt schon weiter: „Wir glauben, dieses Prinzip bald auch für andere therapeutische Hemmstoffe in Verbindung mit anderen Krankheiten anwenden zu können“. Denn auch bei Virus-Erkrankungen wie Ebola oder HIV nutzen die Viren Rafts, um von Zelle zu Zelle zu kommen. Genau diesen Weg gilt es zu unterbrechen.

Weitere Informationen:
Kai Simons
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Tel.: +49 351 210-2800
Fax: +49 351 210-1209
E-Mail: simons@mpi-cbg.de

Lawrence Rajendran
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Tel.: +49 351 210-2844
Fax: +49 351 210-1209
E-Mail: rajendra@mpi-cbg.de

Weiterführender Link:
Date an der Synapse: Forscher spüren unseren Erinnerungen nach

Originalveröffentlichung:
Lawrence Rajendran, Anja Schneider, Georg Schlechtingen, Sebastian Weidlich, Jonas Ries, Tobias Braxmeier, Petra Schwille, Jörg B. Schulz, Cornelia Schroeder, Mikael Simons, Gary Jennings, Hans-Joachim Knölker, Kai Simon
Efficient Inhibition of the Alzheimer’s Disease β-Secretase by Membrane Targeting
Science, 25. April 2008