NATURE: Forscher klären Vorgänge beim programmierten Zelltod auf

Dass kranke oder überflüssige Zellen vom eigenen Körper gezielt getötet und entfernt werden können, ist für Tier und Mensch lebenswichtig. Zelltod oder Apoptose heißt der Vorgang, der bereits in der Embryonalentwicklung und im erwachsenen Organismus eine wichtige Rolle spielt. Auch für die Medizin ist er von großer Bedeutung. Der Wurm „C. elegans“ dient als Modellorganismus, um die hierfür wichtigen Prozesse zu erforschen. In seinem Erbgut wurden bisher zwölf Gene identifiziert, die für diesen Prozess verantwortlich sind. Bisher wurde angenommen, dass beim Entfernen einer toten Zelle durch ihre Nachbarzelle zwei parallele Signalketten unabhängig voneinander wirken. Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig und des Instituts für Molekularbiologie, Zürich, haben nun gezeigt, dass beide Signalketten in ein und dasselbe „Friss mich“-Signal münden (NATURE, VOL 434 | 3 March 2005, 93-99).

Quelle: TU Braunschweig - R. Schnabel C. elegans-Embryo. Der Pfeil zeigt auf einen Zelltod.
Quelle: TU Braunschweig – R. Schnabel
C. elegans-Embryo. Der Pfeil zeigt auf einen Zelltod.

Der Zelltod kann ein vorprogrammierter Bestandteil der Entwicklung eines Embryos selbst sein. In diesem Fall wird die Zahl der zunächst gebildeten Zellen später wieder verringert, um ein Organ zu gestalten. Die Finger des Menschen werden zum Beispiel beweglich, indem die zunächst im Mutterleib gebildeten „Schwimm“-Häute zwischen ihnen durch Apoptose gezielt entfernt werden. Aber auch eine Schwächung oder Erkrankung der Zelle, etwa durch eine Infektion, kann den Zelltod auslösen. Für das Überleben des Organismus ist es in beiden Fällen entscheidend, dass der Körper die abgestorbenen Zellen sauber „entsorgt“, um zu verhindern, dass weitere Bereiche oder gar ganze Körperteile oder Organe ebenfalls angegriffen oder infiziert werden. Das Prinzip ist einfach: Nachbarzellen umhüllen und „fressen“ die geschädigten Artgenossen und machen sie damit unschädlich. Was genau aber löst diesen Prozess aus?

Der nur einen Millimeter lange Wurm „Caenorhabditis (C.) elegans“ ist ein vorzügliches Werkzeug, um solche Prozesse aufzuklären. „C. elegans“ ist einer der weltweit am besten erforschten Modellorganismen. Das vergleichsweise primitive Lebewesen erlaubt es, die zellulären Mechanismen zu studieren, die in der frühen Evolution ausgeprägt wurden, und die daher von allen höher entwickelten Tieren einschließlich dem Menschen verwendet werden.

Um die Apoptose verstehen zu können, müssen die Forscher zwei Probleme lösen. Erstens müssen Gene identifiziert werden, die an dem Prozess beteiligt sind. Da mit „C. elegans“ detaillierte genetische Analysen durchgeführt werden können, stellt er ein ideales System dar, um Mutationen, also Abweichungen in Genen zu isolieren, die für den Zelltod benötigt werden. Aus den Auswirkungen dieser Mutationen können die Forscher Rückschlüsse auf das Funktionieren der Gene im gesunden Organismus ziehen.

Zweitens müssen die zellulären Auswirkungen genauestens mikroskopisch analysiert werden. Prof. Ralf Schnabel, Institut für Genetik der Technischen Universität Braunschweig, untersucht Mutanten mit Hilfe eines von ihm selbst mit entwickelten vierdimensionalen (4-D-) Mikroskops. „Das Instrument ermöglicht uns völlig neue Entdeckungen, da es neben der vollständigen räumlichen Darstellung auch die Entwicklung im Zeitverlauf dokumentiert“, erläutert Schnabel. Auf diese Weise wurde von Juan Cabello, TU Braunschweig, eine sogenannte Null-Mutante in dem Gen „ced-10“ („cell death“ Nummer 10) aufgespürt. In ihr fällt die biochemische Aktivität dieses Gens vollständig aus. Dies war der Schlüssel zu neuen komplexen genetischen Experimenten mit den sieben Genen, die zum Fressen der toten Zellen benötigt werden. Dabei wurde erstmals deutlich, dass alle Gene auf „ced-10“ wirken, welches dann die fressende Zelle verformt, um die tote zu umschließen und aufzunehmen.

„Die Apoptose ist von großem medizinischen Interesse“, so Schnabel. „Man würde gern verhindern, dass Zellen bei Herzinfakten, Hirnschlägen oder nach Unfällen sterben. Um Tumore zu bekämpfen wäre es ideal, wenn man die Krebszellen in die Apoptose drängen könnte. Unsere Arbeiten über „ced-10″ könnten ein Schlüssel zum Erfolg sein. Pharmazeutische Unternehmen bemühen sich zwar mit ihren Methoden um Medikamente, die in die Apoptose eingreifen. Erstaunlicherweise arbeitet die Industrie aber nur wenig mit den Grundlagenforschern zusammen. Auch ist es in Deutschland zunehmend schwierig, von unabhängiger Seite Fördermittel für solche Arbeiten zu erhalten.“

Bereits in einer früheren Veröffentlichung haben Prof. Ralf Schnabel und seine Kollegen mit dem 4-D-Mikroskop nachweisen können, dass geschwächte Zellen eine höhere Überlebenschance haben, wenn die Nachbarzellen daran gehindert werden, diese einzuschließen und unschädlich zu machen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass diejenigen Gene, die für die Entsorgung zuständig sind, auch „aktiv“ den Tod des kranken Gewebes herbeiführen können. Das Zusammenspiel der Zellen kann also ebenso über Leben und Tod entscheiden wie die Vorgänge innerhalb der sterbenden Zelle (NATURE, VOL 412 | 12 July 2001).

Weitere Informationen:

Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Schnabel,
Institut für Genetik,
Technische Universität Braunschweig,
Tel.: 0531 / 391-5773,
E-Mail: r.schnabel@tu-braunschweig.de.

http://www.tu-braunschweig.de/ifg
http://www.tu-braunschweig.de/ifg/ag/schnabel